Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin,
sehr geehrter Herr Canzler,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
als wir im Vorjahr den städtischen Haushalt beschlossen haben, da war uns allen bewusst, dass uns die sozialen und ökonomischen Folgen der Corona-Pandemie noch lange beschäftigen würden. Und so ist es auch gekommen. Fehlende Einnahmen und zusätzliche Kosten infolge der Pandemie werden unsere finanziellen Möglichkeiten noch über Jahrzehnte belasten. In drei Jahren werden wir als Stadtrat vor der schweren Entscheidung stehen, ob wir das aufgelaufene Defizit entweder zu Lasten der Allgemeinen Rücklage vollständig abschreiben – oder über fünf Jahrzehnte hinweg jährlich tilgen wollen. Eine überdurchschnittlich gut gefüllte Allgemeine Rücklage lässt glücklicherweise beide Wege zu. Beide Optionen sind allerdings mit Risiken verbunden und wir sollten uns die anstehende Entscheidung nicht leicht machen.
Der Kampf gegen die Pandemie war hart und ist auch nach zwei Jahren noch nicht gewonnen. Leider ist die Situation im Vergleich zum Vorjahr heute noch wesentlich schlimmer. Wir sehen abgrundtiefes Leid in der Ukraine. Tag für Tag fordert der Krieg sinnlose Opfer. Der Überfall der russischen Atommacht auf einen friedlichen Nachbarstaat hat uns gelehrt, dass auch im 21. Jahrhundert kriegerische Konflikte nicht immer durch Diplomatie allein verhindert werden können. Für unsere Partei, deren Wurzeln tief in die Friedensbewegung der 1980er Jahr hineinreichen, ist diese Erkenntnis besonders schmerzhaft.
Die wirtschaftlichen und finanziellen Risiken des Ukrainekriegs für unsere Stadt sind zwar heute noch nicht genauer zu beziffern, allerdings jetzt schon mit Händen greifbar: Lieferausfälle und -engpässe, der Ausfall ganzer Märkte, Rohstoff- und Energiemangel, Preissteigerung und Inflation werden die Bürgerinnen und Bürger, aber auch unsere heimischen Unternehmen wirtschaftlich hart treffen. Die Folgen werden wir selbstverständlich auch im städtischen Haushalt zu spüren bekommen. Die finanziellen Risiken für die kommunalen Finanzen sind im Moment noch nicht zu beziffern, aber es ist klar, dass wir erneut eine große Zahl von Menschen aufnehmen werden, die unsere Hilfe dringend benötigen. Sie müssen versorgt und untergebracht werden. Ihre Kinder benötigen Betreuung und Unterricht. Das alles will geleistet und finanziert werden.
Als Partnerstadt von Kanew stehen wir hier in einer besonderen Verantwortung. Wir bedanken uns an dieser Stelle beim Verein Freunde von Kanew und bei allen anderen privaten Initiativen, Firmen, Vereinen, Gruppen und Privatpersonen, die sich hier in Viersen für Hilfslieferungen einsetzen und Geflüchtete aus der Ukraine willkommen heißen. Wir bedanken uns auch bei der Bürgermeisterin, dem Verwaltungsvorstand und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verwaltung, die mit großem Engagement derzeit alles dafür tun, dass die aus dem Kriegsgebiet flüchtenden Menschen eine Zuflucht bei uns finden. Hilfslieferungen und -leistungen können wir zwar nicht in ausreichendem Maße aus dem städtischen Etat für Städtepartnerschaften aufbringen, werden aber Mittel dafür bereitstellen. Wir bedanken uns für die breite Unterstützung eines fraktionsübergreifenden Antrags, den wir heute mit dem Haushalt beschließen werden. Als Mitglied der deutschen Sektion des Rates der Gemeinden und Regionen Europas sollte sich unsere Stadt auch an anderer Stelle noch stärker und aktiver in das Friedensprojekt Europa einbringen. Internationale Beziehungen haben in diesen Zeiten einen ganz besonderen Stellenwert.
Meine Damen und Herren,
es fällt schwer, in dieser dramatischen Zeit auf die nüchternen Zahlen einer Finanzplanung zu schauen, von der wir nicht wissen, ob sie der Realität von morgen standhält. Ich möchte den Ausdruck „auf Kante genäht“ lieber vermeiden, aber machen wir uns nichts vor: Der Kämmerer und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben alle Ihnen zur Verfügung stehenden Instrumente genutzt, um den Rückfall der Stadt in die Haushaltssicherung zu verhindern, ohne die steuerlichen Belastungen zu erhöhen. Positiv dazu beigetragen haben die schon erwähnten Möglichkeiten, die das Land Nordrhein-Westfalen den Kommunen zur fiskalischen Bewältigung der Corona-Pandemie eingeräumt hat. Und dennoch sind wir gezwungen, unsere Ausgleichsrücklage vollständig aufzulösen. Zusätzlich werden wir in Zukunft verstärkt auf Kassenkredite zurückgreifen müssen, um unserem Finanzhaushalt liquide Mittel zuzuführen. Das damit verbundene Zinsrisiko steigt unmittelbar, wenn die Europäische Zentralbank angesichts der galoppierenden Inflation die Kehrtwende ihrer Währungspolitik einleitet. Der Haushaltsentwurf 2022 ist also ein Versprechen auf eine Zukunft, die möglicherweise so nicht eintreffen wird.
An den begleitenden Umständen trifft die Verwaltung allerdings keine Schuld. Wir sehen im vorliegenden Entwurf des städtischen Haushalts eine solide Planung, sorgfältiges Handwerk und den festen Willen, unseren Haushalt wieder in sicheres Fahrwasser zu führen. Besten Dank dafür an Herrn Canzler, an Frau Wöltering und an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kämmerei! Vielen Dank aber auch an alle anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung, die in zwei Jahren Pandemie teilweise unter schwierigen Bedingungen die Amtsgeschäfte aufrechterhalten haben.
Und dennoch: Wenn wir die Situation hier in Viersen genauer betrachten und die Folgen von Pandemie und Krieg einmal ausklammern, dann ist längst nicht alles Gold, was in Viersen eigentlich glänzen könnte. Viele Chancen bleiben ungenutzt. Planungen, die unsere Stadt nachhaltig voranbringen können, verzögern sich zum Teil über Jahre. Gelder, die der Rat im Haushalt bereitgestellt hat, werden nicht abgerufen. So ist von insgesamt 500.000 Euro, die der Rat für die Planung und Installation von Photovoltaikanlagen im Haushalt 2021 freigegeben hatte, offenbar noch kein Euro in eine neue Anlage investiert worden.
Der Fokus „Photovoltaik“ des Viersener Sofortprogramms für den Klimaschutz bleibt also auch weiterhin leer. Wir hoffen und erwarten, dass dieses Problem mit der Beauftragung eines Planungsbüros und der Einstellung eines Energiemanagers jetzt kurzfristig behoben wird. Zumal auch die Stabsstelle Klimaschutz inzwischen über Personal verfügt und arbeitsfähig ist. Es wäre kaum jemandem zu erklären und äußerst ärgerlich, wenn wir im kommenden Haushaltsjahr wieder auf diesen Punkt zurückkommen müssten. Klimaschutz und mehr Energie-Autonomie gehen eben nur mit „Freiheitsenergien“, um den Bundesfinanzminister zu zitieren, der, wie sie wissen, nicht unserer Partei angehört.
Als Grund für zahlreiche Verzögerungen wird von der Verwaltung fast immer auf die Personalsituation verwiesen. Dabei ist der Stellenplan sicher ausreichend dimensioniert. Allerdings: Viele Stellen in der Verwaltung bleiben unbesetzt, obwohl die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter händeringend gesucht und dringend gebraucht werden. Was also ist faul in Viersen?
Leider stellen wir fest: Die Stadt Viersen hat kein Problem mit den Beschlüssen hier im Stadtrat, sondern ein Problem bei der Umsetzung durch die Verwaltung. Bürgerinnen und Bürger, Unternehmerinnen und Unternehmer müssen viel Geduld aufbringen, wenn Sie mit einem Anliegen an die Verwaltung herantreten. Auch dem Stadtrat ergeht es da nicht anders.
Viele seiner Entscheidungen werden nur mit großer Verzögerung umgesetzt. Selbst wenn die Gründe dafür im Einzelfall einleuchtend sein mögen, ist die Wirkung in der Summe nicht hinnehmbar. Tatsache ist: Trotz des stetig wachsenden Stellenplans sind nicht alle Fachbereiche in der Lage, ihre Aufgaben zu bewältigen. Wir können nur vermuten, warum im Schnitt ständig über 100 Stellen in der Verwaltung nicht besetzt sind, warum Bürgerinnen und Bürger oft allzu lange auf Bescheide, Auskünfte und Termine warten müssen. Aber wir sollten uns als Rat der Stadt Viersen auch nicht an diesen Zustand gewöhnen.
Frau Bürgermeisterin, Herr Canzler, meine Damen und Herren,
die Fraktion BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN trägt diesen städtischen Haushalt mit. Aber ich kann heute nur wiederholen, was wir schon im vergangenen Jahr gesagt haben. Ich zitiere im Wortlaut aus unserer Haushaltsrede 2021: „Zu diesem Haushaltsentwurf erhalten sie von uns kein einfaches ‚Ja‘, sondern ein klares ‚Ja, aber‘. Wir verbinden mit unserer Zustimmung die deutliche Erwartung an die Verwaltung, dass sie ihren Verpflichtungen in allen Geschäftsfeldern nachkommt und die Beschlüsse dieses Rates in angemessener Frist umsetzt. Wir warten auf das Konzept ‚Zukunft Stadtgrün‘, auf ein nachhaltiges Mobilitätskonzept, auf das Konzept zur Anpassung an den Klimawandel und auf die große Lösung für den Klimaschutz in Viersen.“ Dem ist eigentlich auch ein Jahr später nichts hinzuzufügen.
Oder vielleicht doch. Wir schlagen Ihnen vor: Lassen Sie uns die Haushaltsplanung mittelfristig stärker inhaltlich aufstellen. Wir sehen die Notwendigkeit, Ziele und Maßnahmen in der Haushaltsplanung enger zu verknüpfen. Wir fordern klare Aussagen dazu, mit welchen Mitteln auf welchen Sachkonten wir auf welches übergeordnete Ziel einzahlen wollen. Für die Fraktionen, aber auch für die Bürgerinnen und Bürger wäre dann leichter zu erkennen, was die Verwaltung auf fast 1.200 Seiten Haushaltsplan für unsere Stadt beabsichtigt. Grundlage für eine wirkungsorientierte Haushaltsplanung sollte das neue Leitbild sein, dass wir derzeit als Rat und Verwaltung gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern sowie den örtlichen Vertreterinnen und Vertretern verschiedener gesellschaftlicher Interessen erarbeiten.
Meine Damen und Herren,
wir wissen, dass unsere kommunalen Ressourcen begrenzt sind. Wir wissen, dass der Aufgabenberg wächst und der finanzielle Ausgleich des kommunalen Aufwands durch Bund und Land zu wünschen übriglässt, dass auch die Kreisumlage an uns zerrt. Wir sehen, wie viele Anforderungen Gesellschaft und Wirtschaft über die Pflichtaufgaben hinaus an die Verwaltung herantragen werden – und dass wir als mittelgroße Kommune nicht alle Wünsche erfüllen können. Wenn wir uns in Zukunft aber schon stärker auf das Wesentliche konzentrieren müssen, dann sollten der Schutz von Klima, Umwelt und Natur ebenso dazu gehören wie die tragfähige Entwicklung der Schulen und Kindertagesstätten, ein attraktives und sicheres Radwegenetz, ein nachhaltiges und flächenschonendes Konzept für Gewerbeflächen, lebenswerte Zentren mit attraktivem Einzelhandel in Viersen, Dülken und Süchteln, ein ausreichendes Angebot an Sportstätten und ein weitgefächertes städtisches und privat getragenes Kulturprogramm.
Die Bereitschaft dazu können wir in diesem Rat allerdings erkennen. Auch andere Fraktionen haben sich mit eigenen Anträgen und Initiativen für eine klimafreundliche Mobilitätswende, für Nachhaltigkeitskriterien beim städtischen Gebäudemanagement und für den Naturschutz in Viersen eingesetzt. Wir begrüßen, dass jetzt die Stelle für das städtische Energiemanagement neu besetzt wird, einer Forderung, für die wir selbst in den Haushaltsberatungen vor zwei Jahren leider noch keine Mehrheit gefunden haben.
Besonders bedanken wir uns für die breite Unterstützung der Haushaltsanträge unserer Fraktion, eine Projektstelle für Stadtnatur einzurichten und mehr Mittel für die Pflege von Naturschutzgebieten aufzuwenden. Als sehr gutes Zeichen werten wir auch die Bereitschaft einer großen Mehrheit des Rates, bei der Sanierung der Grundschule in Boisheim auf die Beheizung mit fossilen Energien ganz zu verzichten. Auch wenn die Aufwendungen dafür ganz erheblich sein werden, gibt es zu dieser Entscheidung keine echte Alternative, wenn wir uns aus der fossilen Abhängigkeit lösen und das Weltklima für unsere eigene Zukunft retten wollen. Lassen Sie uns auf diesem Weg gemeinsam weitergehen!