Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin,
sehr geehrte Frau Wöltering,
sehr geehrte Mitglieder des Rates,
liebe Bürgerinnen und Bürger von Viersen,
das Haushaltsjahr 2024 stellt uns vor neue Herausforderungen, hält aber auch neue Chancen für uns bereit. Die Welt, in der wir leben, verändert sich rasant. Naturkatastrophen als erste Auswirkungen des Klimawandels, Kriege in Europa und im Nahen Osten, die schwächelnde wirtschaftliche Entwicklung und soziale Veränderungen in unserer eigenen Gesellschaft fordern uns zunehmend heraus.
Als Grüne stehen wir derzeit oft in der Kritik: Heizungsgesetz, Agrardiesel, Zuwanderung – diese Themen, die uns als Teil der Berliner Ampel in den vergangenen Monaten um die Ohren geflogen sind, stehen für Veränderungen. Veränderungen, die objektiv richtig, wichtig und nötig sind.
Denn: Es ist und bleibt höchste Zeit für den Schutz des Klimas, weil die Erderhitzung unsere Zivilisation grundlegend bedroht. Es braucht auch den ambitionierten Schutz der Natur, weil unsere Umwelt die Grundlage unseres Lebens ist. Und es braucht nicht nur qualifizierte Zuwanderung, sondern auch die Qualifizierung sehr vieler Zugewanderter, um die zunehmenden Lücken auf dem Arbeitsmarkt zu füllen.
Große Herausforderungen bedeuten immer große Veränderungen. Große Veränderungen wirken sich zwangsläufig auf unser berufliches, gesellschaftliches und privates Leben aus. Sie bergen Chancen und Risiken. Das gefällt nicht allen.
Grüne Büros wurden überall im Lande beschmutzt, beschmiert und beschädigt, so auch hier in Viersen. Und wir fordern Sie auf, liebe Kolleginnen und Kollegen hier im Stadtrat: Stehen wir als Demokratinnen und Demokraten zusammen! Lassen wir nicht zu, dass populistische und politisch extreme Demagoginnen und Demagogen in Deutschland wieder die Macht an sich reißen. Warten Sie nicht ab, bis diese mit uns Grünen fertig sind! Hoffen Sie nicht darauf, dass die Feinde der Demokratie vor Ihren Parteibüros dann halt machen werden!
Veränderungen, meine Damen und Herren, erfordern Mut! Sie erfordern Kraft und Vertrauen in die eigene Stärke. Diese Kraft und diese Stärke sehe ich in den vielen Menschen, die sich in den letzten Wochen in Deutschland auf den öffentlichen Straßen und Plätzen versammelt haben, um für die demokratischen Werte unserer Gesellschaft ihr Gesicht zu zeigen.
Sehr beeindruckt hat mich die überwältigend große Versammlung gegen Rechtsextremismus am 2. Februar hier in Viersen – der lange Zug der Demonstrierenden, der am Remigiusplatz noch nicht endete, als sich der Sparkassenvorplatz schon füllte. Die gesamte Fußgängerzone war voller Menschen, die ein klares Zeichen gegen rechten Extremismus senden wollten: „Stopp! Es reicht! Keinen Schritt weiter!“
Auch die Demonstration gegen den Frühjahrsempfang der AfD am 2. März in Süchteln war ein deutliches Zeichen der Zivilgesellschaft gegen Hass und Ausgrenzung, für Toleranz und Demokratie.
Meine Damen und Herren,
gerade jetzt – in Zeiten der Veränderungen – müssen wir in unsere Zukunft investieren – unsere Stadt zukunftsfähig gestalten. Ein neues Haushaltsjahr gibt uns die Gelegenheit, Bilanz zu ziehen und gleichzeitig mit Entschlossenheit und Weitsicht in die Zukunft zu blicken.
Schon im vergangenen Jahr standen wir vor großen finanziellen Herausforderungen. Nur dank einer gut gefüllten Ausgleichsrücklage konnten wir diese Herausforderungen bislang meistern. Die große Rechnung des COVID-19-Ukraine-Isolierungsgesetzes schieben wir allerdings noch vor uns her. Rund 19 Millionen Euro einmalig aus der Rücklage ausbuchen oder 50 Jahre lang jeweils 480.000 Euro abschreiben? Diese Entscheidung steht im kommenden Jahr an. Der aktuelle Entwurf der mittelfristigen Finanzplanung sieht übrigens noch die jährliche Belastung der zukünftigen Haushalte vor. Das sollten wir nicht außer Acht lassen!
Heute, im März 2024, hat sich die politische und ökonomische Landschaft noch einmal verändert. Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der globalen Ereignisse – Pandemie, Kriege, Inflation – machen deutlich, dass wir uns auch in der Haushaltsplanung besser anpassen und vorausschauender planen müssen. Die finanzielle Lage unserer Stadt ist weiterhin angespannt. Sie wird in den kommenden Jahren nicht besser werden. Darauf sollten wir uns heute schon einstellen.
Es ist eine Situation, die uns zwingt, Prioritäten klar zu definieren und anhand klarer Prioritäten über die Verteilung unserer begrenzten Ressourcen zu entscheiden.
Ein Wegweiser für diese Prioritäten sollte das neue Leitbild für Viersen sein. Es ist das Zeugnis des gemeinsamen Willens der hier im Rat vertretenen demokratischen Parteien, Viersen als eine lebendige, ökologisch nachhaltige und sozial gerechte Stadt zu gestalten. Dieses Leitbild ist zugleich das Ergebnis eines Dialogs mit der Stadtgesellschaft. Es spiegelt die Vielfalt der Stimmen in unserer Gemeinschaft wider. Der ViersenPlan ist ein Kompass, der uns auch leiten sollte, wenn wir über den Haushalt 2024 entscheiden.
Angesichts der begrenzten finanziellen Mittel ist es unerlässlich, dass wir uns auf unsere zentralen Ziele und Aufgaben konzentrieren. Es geht jetzt darum, unsere Mittel auf die Ziele auszurichten, die wir mit hoher Priorität als Stadtgesellschaft verfolgen wollen. Die Diskussionen und Beratungen im Vorfeld haben uns allerdings gezeigt, dass es an dieser klaren Priorisierung bislang fehlt.
Jede Fraktion dieses Stadtrates sollte sich daher heute fragen, welche Prioritäten sie für die Zukunft unserer Stadt setzen möchte.
Für uns, für BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN, kann ich diese Frage beantworten:
– Wir wollen in die Bildung und Betreuung unserer Kinder investieren und damit sicherstellen, dass jede Generation auf die Herausforderungen der Zukunft vorbereitet ist.
und
– Wir wollen in eine ökologisch nachhaltige Zukunft investieren. Das bedeutet, dass wir die erforderlichen Mittel für Projekte bereitstellen müssen, die das Klima schützen und die Folgen des Klimawandels abmildern, die Verkehrswende vorantreiben und unsere Stadtnatur bewahren.
Meine Damen und Herren, liebe Ratskolleginnen und -kollegen,
unsere Demokratie wird gegenwärtig erstmals seit der Überwindung der NS-Diktatur ernsthaft herausgefordert. Außenpolitisch durch totalitäre Systeme, vor allem in China und Russland, aber auch durch den Zerfall der demokratischen Kultur in den USA und Teilen Europas. Innenpolitisch durch das Wachsen einer politischen Bewegung, die sich auf Misstrauen, Neid, Hass und Ausgrenzung stützt und die in Teilen bereits als gesichert rechtsextremistisch bezeichnet werden darf. Ihr Sprachrohr ist eine Partei, die bereits in vielen Räten und Parlamenten vertreten ist – leider auch hier im Viersener Stadtrat.
Wie konnte es so weit kommen? Sicher haben die äußeren Umstände dazu beigetragen. Die Folgen der Corona-Krise waren nicht nur tausende tote Menschen, die dem Virus erlegen sind, sondern auch eine relevante Zahl von Menschen, die auf einfache und plakative Lösungen hereingefallen sind. Sie haben unserem Staat inzwischen leider den Rücken zugekehrt. Mit seinem Angriffskrieg auf die Ukraine und Troll-Kriegen in den Sozialen Medien fördert Russland diese Entwicklung in Deutschland Tag für Tag. Es steckt inzwischen mehr als nur ein Keil in dieser Gesellschaft. Es droht ein gesellschaftlicher Zerfall.
Um der Kritik am demokratischen Rechtsstaat und den ihn tragenden Parteien wirksam zu begegnen, braucht es aber vor allem zwei Dinge: Erklären und zuhören!
Es hilft wenig, einer Partei, die sich in Umfragen um die 20 Prozent bewegt mit „Nazis raus“-Rufen zu begegnen. Weder sind alle Wählerinnen und Wähler der AfD Nazis, noch wäre diese Forderung in einem Rechtsstaat umsetzbar. Denn im Gegensatz zu dieser Anti-Partei stehen wir Demokratinnen und Demokraten zu unseren Werten – auch wenn der Wind einmal rauer weht. Meinungsfreiheit gilt im Rahmen des Rechts immer auch für Andersdenkende.
Wir müssen uns auch um die Menschen bemühen, die überlegen, den Feinden der Demokratie ihre Stimme zu geben. Wir müssen immer wieder erklären, auf welche Fakten und Überlegungen sich unsere politischen Entscheidungen stützen – und wir müssen zuhören, wo den Leuten der Schuh wirklich drückt. Das heißt nicht, sich jede Forderung zu eigen zu machen. Aber die Menschen – egal welchen Alters, welchen Geschlechts, welcher Herkunft, welchen Bildungsgrades oder Einkommens – müssen sich wahr- und ernstgenommen fühlen.
Und wir sollten die Elemente direkter Teilhabe der Einwohnerinnen und Einwohner im kommunalpolitischen System stärken.
Auch aus diesem Grunde haben wir die Einrichtung eines Bürgerbudgets von 50.000 Euro im Haushalt 2024 beantragt, über dessen Verwendung die Einwohnerinnen und Einwohner unserer Stadt per Abstimmung entscheiden sollen. Wir greifen damit auch eine Idee der Kolleginnen und Kollegen der SPD auf, deren Antrag von 2022, einen Bürgerfonds einzurichten, für uns allerdings zu kurz greift.
Ausschlaggebend ist für uns, die Entscheidung über die Verwendung der Mittel in die Hände der Bevölkerung zu legen. Jede natürliche Person wäre berechtigt, darüber abzustimmen.
Ein solcher Prozess könnte wesentlich dazu beitragen, das demokratische Stadtklima in Viersen auch zwischen den Wahljahren lebhaft zu gestalten.
Weiterhin ist es aus unserer Sicht höchste Zeit, die Haushaltsführung der Stadt auf eine neue Grundlage zu stellen und so für die Verwaltung selbst, für die Mitglieder des Stadtrats und die Bürgerinnen und Bürger transparenter zu gestalten.
Mit einem digitalen, interaktiven und wirkungsorientierten Haushaltsplan könnten wir uns endlich von der PDF verabschieden und die Möglichkeiten neuer Software-Lösungen für uns erschließen. Damit hätte endlich die Sucherei auf über 1000 Seiten DIN A4 ein Ende! Weitere Ausführungen zur Erklärung der Zahlen wären dann zu allen Produkten und Sachkonten möglich – und zwar direkt da, wo sie gebraucht werden.
Gebraucht werden auch die Ergebniszahlen mehrerer Haushaltsjahre, um die langjährige Entwicklung abschätzen und Vergleiche anstellen zu können. All das kann der gegenwärtige Haushaltsplan in DIN A4-Hochformat nicht leisten.
In einer Zeit, in der die Komplexität politischer Entscheidungen und das Misstrauen gegenüber den politischen Entscheidungsträgern zunimmt, wäre ein digitaler Haushaltsplan ein wichtiger Schritt zur Stärkung der Transparenz und der Bürgerbeteiligung.
So hätten die Bürgerinnen und Bürger selbst die Möglichkeit, sich umfassend zu informieren, die politischen Entscheidungen des Rates nachzuvollziehen und auf dieser Grundlage selbst aktiv am politischen Prozess teilzuhaben. Eine transparente Darstellung des Haushalts ist daher nicht nur eine Frage der Zugänglichkeit, sondern auch der demokratischen Verantwortung.
Meine Damen und Herren,
die Zukunft Viersens erfordert einen Haushalt, der nicht nur Zahlen und Posten auflistet, sondern der klar aufzeigt, wie jede Ausgabe zur Erreichung unserer gemeinsamen Ziele beiträgt. Ein wirkungsorientierter Haushalt, der sich an den Leitmotiven unseres neuen Leitbildes orientiert, ist der Schlüssel dazu. Wir fordern, dass Wirkungsziele klar definiert, Erfolgsindikatoren festgelegt und Maßnahmen so ausgerichtet werden, dass sie messbare positive Auswirkungen für unsere Stadt haben. Dies erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Politik, Verwaltung und Bürgerschaft. Lassen Sie uns gemeinsam sicherstellen, dass unser Haushalt nicht nur Zahlenwerk bleibt, sondern sich weiterentwickelt zu einem Instrument lebendiger Demokratie für die Gestaltung der Zukunft unserer Stadt.
Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind groß, doch bin ich überzeugt, dass wir sie gemeinsam meistern können. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist bereit, ihren Teil dazu beizutragen, um Viersen zu einer noch nachhaltigeren, sozial gerechteren und lebenswerteren Stadt zu machen.
Wir fordern alle politischen und gesellschaftlichen Akteure dazu auf, sich dieser Aufgabe zu stellen. Lassen Sie uns hier im Rat selbst Vorbild sein und zeigen wir den Menschen, dass wir in der Lage sind, über Tellerrand und Kirchturm hinaus zu blicken und das große Ganze im Auge zu behalten.
Wir werden dem Entwurf des städtischen Haushalts für das Jahr 2024 zustimmen.
Nicht, weil wir ihn in allen einzelnen Punkten befürworten, sondern weil wir ihn in seiner Gesamtheit und in der Summe mittragen können. Wir sind davon überzeugt, dass es uns im Stadtrat auch weiterhin weitgehend im Konsens gelingen wird, auf vernünftige und verantwortungsvolle Weise über das Geld unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger zu entscheiden. Das wird uns aber nicht davon abhalten, mit Nachdruck auf haushaltspolitische Abenteuer und die Verschwendung von Steuergeldern hinzuweisen – und richtungsweisende Investitionen in Verkehrswende, Naturschutz, Klimaschutz und die Zukunft unserer Kinder einzufordern.
Die Fraktion BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN bedankt sich bei allen Fraktionen für die konstruktiven Diskussionen zum Haushalt in den Fachausschüssen. Wir bedanken uns bei Frau Wöltering und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Kämmerei für einen soliden Haushaltsentwurf und für ihr zuverlässiges Bestreben, unseren kommunalen Haushalt auf festem Grund zu halten. Unserem heute leider abwesenden Stadtkämmerer Christian Canzler wünschen wir alles Gute und weiterhin gute Besserung.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.