Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin,
sehr geehrter Herr Canzler,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
es ist nun manches doch etwas besser gekommen, als noch vor einem Jahr zu befürchten war: Die Pandemie ist überwunden, die Gasmangellage ist ausgeblieben, die erwartete Rezession bislang ebenso. Der Jahresabschluss für den Haushalt des Vorjahres bleibt voraussichtlich deutlich über den erwarteten Werten. Wären da nicht die anhaltenden Schrecken des Krieges in der Ukraine und eine Inflation von immer noch über 8 Prozent, könnte man heute fast wieder von Normalität sprechen. Wir könnten frohen Mutes in die Zukunft sehen. Für unsere privaten Haushalte, für die wirtschaftliche Entwicklung – und auch für den Haushalt der Stadt Viersen.
Aber so einfach ist es leider nicht! Die Folgen der Pandemie und des Ukrainekrieges für unsere Stadt lassen sich auf über 28 Millionen Euro beziffern. So hoch ist die Summe, die wir entweder mit einer halben Million Euro jährlich über 50 Jahren hinweg abtragen oder in drei Jahren auf einen Schlag aus dem vorhandenen Vermögen ausbuchen müssen. Eine schwere Entscheidung für den Stadtrat, der sich heute schon die Frage stellen muss, welchen Weg er gehen will. Das Wort „Generationengerechtigkeit“ steht im Raum. Wir dürfen unsere Rechnung nicht von nachfolgenden Generationen bezahlen lassen! Das leuchtet ein.
Generationengerechtigkeit bedeutet: Verantwortung tragen für alle, die nach uns kommen. Das genau ist der Kerngedanke der Nachhaltigkeit. Das, was uns und die nachfolgenden Generationen heute am meisten bedroht, ist die Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Die Erhitzung des Erdklimas ist schon heute eine spürbare Bedrohung und gefährdet nachfolgende Generationen in ihrer Existenz.
Die Zeit läuft uns davon, um diese Entwicklung noch aufzuhalten, die Klimakatastrophe zu verhindern. Fachleuten zufolge ist es schon heute nicht mehr zu schaffen, das Klimaziel von Paris einzuhalten und den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen. Nachhaltigkeit, Energie- und Mobilitätswende heißen daher die Fächer, in denen wir hier in Viersen ganz dringend unsere kommunalen Hausaufgaben machen müssen!
Meine Damen und Herren!
Haushaltsrisiken, die wir schon vor der Pandemie hatten, haben sich in der Zwischenzeit leider nicht verflüchtigt, sondern weiter verstärkt. Immer noch kämpfen der Stadtkämmerer und sein Team darum, den Rückfall in die Haushaltssicherung zu verhindern, ohne die steuerlichen Belastungen zu erhöhen. Doch die Warnungen stehen an der Wand: Die bislang gut gefüllte Ausgleichsrücklage wird im kommenden Jahr voraussichtlich ausgeschöpft sein. Der Arbeitskreis Haushalt des Stadtrats muss sich jetzt wieder „Arbeitskreis Haushaltskonsolidierung“ nennen. Um mögliche Einsparpotenziale zu identifizieren, ist eine allgemeine Aufgabenkritik durch Politik und Verwaltung angekündigt.
Dies alles wohlgemerkt ohne dramatische Einbrüche der städtischen Einnahmen zum Beispiel bei der Gewerbesteuer – im Gegenteil: Der bunte Mix der Viersener Unternehmen hält sich auch in der Krise vergleichsweise gut. Das strukturelle Defizit bleibt uns jedoch erhalten. Es wird durch die Bilanzierungshilfen des Landes gegen die Folgen von Corona und Ukrainekrieg nur zeitweise verdeckt.
Insbesondere bei den Personalkosten sind größere Einschränkungen jedoch kaum möglich, ohne die Verwaltung weiter zu schwächen. Diese ist in einigen Fachbereichen teilweise heute schon nur noch eingeschränkt handlungsfähig. Andere Kostenfaktoren – zum Beispiel in der Jugendhilfe und bei der Unterbringung von Flüchtlingen können wir selbst nicht beeinflussen. So müssen wir uns auch weiterhin darauf einstellen, Geflüchtete aus der Ukraine und anderen Ländern aufzunehmen, die unsere Hilfe dringend benötigen. Sie müssen versorgt und untergebracht werden. Ihre Kinder benötigen Betreuung und Unterricht. Das alles will geleistet und finanziert werden. Nicht für alle Ausgaben kommen Bund und Land auf.
Wir möchten uns an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich beim Verein Freunde von Kaniw und bei allen privaten Initiativen, Firmen, Vereinen, Gruppen und Privatpersonen bedanken, die sich hier in Viersen für Hilfslieferungen in die Ukraine und für die hier lebenden Geflüchteten einsetzen. Besten Dank auch an die Bürgermeisterin, den Verwaltungsvorstand und an ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die bislang durch vorausschauende Planung mögliche Engpässe bei der Versorgung und Unterbringung haben abwenden können.
Meine Damen und Herren,
die aktuelle Lage für den Viersener Haushalt ist ernst, wenn auch nicht vollkommen katastrophal. In der mittelfristigen Finanzplanung ist die Entwicklung jedoch mehr als bedenklich. Umso mehr sollten wir uns bei jeder Entscheidung mit Auswirkungen auf den Haushalt fragen, wo wir mit unserer Stadt denn eigentlich hinwollen. Was unsere Fraktion – BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN – bis jetzt nicht erkennen kann, das sind klare Prioritäten: Wofür setzen wir unsere begrenzten Mittel ein, wenn wir nicht mehr alle Interessen gleichermaßen bedienen können?
Um den drohenden Rückfall in die Haushaltssicherung zu vermeiden, wird es entscheidend darauf ankommen, ob die Mehrheit dieses Rates willens und in der Lage ist, über den Tellerrand der eigenen Wählerschaft hinaus auf das große Ganze zu blicken.
Wohin also steuern? Die Antwort liegt eigentlich auf der Hand: Wir stehen jetzt kurz davor, ein neues, ein zeitgemäßes und ich möchte auch sagen ein nachhaltiges Leitbild zu beschließen. Jedenfalls hoffen wir Grüne sehr darauf, dass der vorliegende Entwurf nicht mehr zerredet, sondern zügig verabschiedet und dann in einem Bündel von Maßnahmen umgesetzt wird. Er ist das Ergebnis einer breit angelegten Beteiligung von Bürgerschaft, Politik und organisierten Interessen. Dieses Leitbild verdient jetzt eine Chance! Wir sollten uns ganz klar darauf beziehen, wenn wir Entscheidungen treffen, die Auswirkung auf den Haushalt haben.
Deswegen, meine Damen und Herren, schlagen wir Ihnen vor: Lassen Sie uns die Haushaltsplanung stärker an den nötigen Prioritäten ausrichten! Lassen Sie uns Ziele und Maßnahmen in der Haushaltsplanung enger miteinander verknüpfen! Lassen Sie uns einen wirkungsorientierten Haushalt aufstellen! Wir fordern klare Aussagen dazu, mit welchen Mitteln auf welchen Sachkonten wir auf welches übergeordnete Ziel einzahlen. Für die Fraktionen, aber auch für die Bürgerinnen und Bürger wäre dann leichter zu erkennen, was der Rat will und wohin die Verwaltung steuert. Die Grundlage für eine wirkungsorientierte Haushaltsplanung sollte das neue Leitbild sein.
Meine Damen und Herren,
eines hat sich seit dem vergangenen Jahr leider nicht geändert: Immer noch hat die Stadt Viersen ein erhebliches Problem bei der Umsetzung von Plänen und Vorhaben. Anträge der Fraktionen kommen manchmal erst nach Jahren abschließend zur Entscheidung. Entscheidungen werden nur mit großer Verzögerung umgesetzt – wenn überhaupt. Selbst wenn die Gründe dafür im Einzelfall einleuchtend sein mögen, ist die Wirkung in der Summe nicht hinnehmbar.
Tatsache ist: Trotz des in den vergangenen zehn Jahren deutlich angewachsenen Stellenplans sind nicht alle Fachbereiche in der Lage, ihre Aufgaben zu bewältigen. Grund dafür ist weder Faulheit noch böser Wille, sondern einfach der Mangel an personellen Ressourcen. So verzeichneten die Haushaltsabschlüsse der vergangenen Jahre regelmäßig auch deshalb bessere Zahlen als die Planwerte, weil Personalstellen in größerem Umfang nicht besetzt, geplante Maßnahmen daher nicht umgesetzt werden konnten. So bleiben auch weiterhin viele Chancen ungenutzt.
Genau auf diese Chancen kommt es aber an, wenn wir als Wohnort und wirtschaftlicher Standort mit eigenem Profil im Wettbewerb mit den umliegenden Kommunen langfristig attraktiv bleiben wollen.
Meine Damen und Herren,
wenn wir uns in Zukunft schon aus finanziellen Gründen stärker auf das Wesentliche konzentrieren müssen, dann fordern wir Bündnisgrünen einen klaren Fokus auf Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung. So wie es die 17 Entwicklungsziele für Nachhaltigkeit der Vereinten Nationen für alle Lebensbereiche definieren. Auch das neue Leitbild der Stadt Viersen enthält dazu wesentliche Ansätze.
Mehr Klimaweltschutz bei Stadtplanung und Stadtentwicklung, die energetische Sanierung öffentlicher Gebäude im Bestand, Klimaneutralität im Neubau, der zügige Ausbau erneuerbarer Energien, eine tragfähige Entwicklung der Schulen und Kindertagesstätten, ein flächendeckendes Netz sicherer Radwege, ökologische Kriterien für die Entwicklung von Wald und Stadtnatur, ein attraktiver ÖPNV, die klima- und flächenschonende Entwicklung von Industrie und Gewerbe, ein gutes Angebot an Sportstätten, ein weitgefächertes städtisches und privat getragenes Kulturprogramm, der Erhalt unserer drei Zentren als Stätten der Begegnung.
Das sind die Ziele, auf die wir uns gemeinsam ausrichten sollten! Sicher würde mir da erst einmal niemand widersprechen. Leider aber stellen wir fest, dass sich im Stadtrat offenbar Mehrheiten dafür finden, ganz erhebliche Mittel durch fragwürdige Vorhaben zu binden, die in eine ganz andere Richtung deuten.
Eine Fußgängerbrücke auf dem Süchtelner Friedhof für über eine Viertelmillion Euro, waghalsige Ideen für eine städtische Veranstaltungshalle im Rahser, überdimensionierte Pläne für die Sportanlage am Hohen Busch stellen Risiken dar, die wir in dieser Form nicht mitgetragen haben und auch nicht mittragen werden. Sie kosten unnötig Geld, das uns an anderen Stellen fehlen wird – vor allem für die nötigen Investitionen in Schulen, Kindertagesstätten, die Energie- und Verkehrswende!
Wenn nun die Mittel begrenzt sind und wir uns auf das Wesentliche konzentrieren müssen, dann sollten sich alle Fraktionen dafür entscheiden, mehr das Ganze in den Blick nehmen und weniger einzelne Interessen. Und mit diesem Appell komme ich zum Ende meiner Rede.
Die Fraktion BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN bedankt sich bei unserem Stadtkämmerer, Herrn Canzler, bei Frau Wöltering und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Kämmerei für einen soliden Haushaltsentwurf und ihr zuverlässiges Bestreben, unseren kommunalen Haushalt auf festem Grund zu halten.
Frau Bürgermeisterin, meine Damen und Herren,
die Fraktion BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN trägt den Haushaltsentwurf 2023 in der vorliegenden Fassung mit. Auch weil unsere Anträge auf die Verdoppelung des Etats für die Instandsetzung von Radwegen sowie das Bereitstellen von Mitteln für die kommunale Wärmeplanung und die Förderung von Balkon-PV-Anlagen offenbar eine politische Mehrheit gefunden haben. Dass es für unsere Forderung nach einer festen Stelle für den Naturschutz keine Mehrheit gibt, ist allerdings ein schlechtes Zeichen für die zukünftige Zusammenarbeit in den politischen Gremien. Diese Verstärkung im Bereich Stadtgrün und Forsten hätten wir dringend gebraucht.
Außerdem erinnern wir noch einmal daran, dass wichtige und richtungsweisende Ansätze für nachhaltige Politik in unserer Stadt immer noch ausstehen: Wir warten auf das Konzept „Zukunft Stadtgrün“, auf das Maßnahmenpaket für die Nahmobilität – insbesondere für den Radverkehr –, auf das Konzept zur Anpassung an den Klimawandel und auf kraftvolle und energische Lösungen für den Klimaschutz in Viersen – auf Anstrengungen, die über das geforderte gesetzliche Mindestmaß hinausgehen – bei den eigenen Immobilien ebenso wie in der Stadtentwicklung und -planung.
Hoffen wir also auf ein gutes Haushaltsjahr 2023 in unserer Stadt – für die Bürgerinnen und Bürger, für die Natur, die Umwelt und vor allem für mehr Klimaschutz in Viersen! Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.