Die Stadt Viersen ist Eigentümerin zahlreicher Feld- und Wirtschaftswege im Außenbereich. Oft handelt es sich um Flurstücke von mehreren Metern Breite, die auf beiden Seiten weit über den eigentlichen Weg hinausragen. Häufig werden die Wegraine allerdings landwirtschaftlich genutzt. Dies geschieht nur teilweise auf der Grundlage eines Pachtvertrags. Die Viersener Ratsfraktion von BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN hat in diesem Zusammenhang bereits im Februar 2020 beantragt festzustellen, auf welche Flächen im Stadtgebiet dies zutrifft und in welchem Umfang öffentliche Wegraine gepflügt und beackert werden. Ziel des Antrags war die Wiederherstellung durchgehender Biotopverbundlinien zum Schutz wildlebender Tiere und Pflanzen auf Wegrainen und Ackersäumen. Anstelle einer landwirtschaftlichen Nutzung hatten die Viersener Grünen die Bepflanzung mit Kräutern, Wildblumen, Sträuchern, Hecken und Bäumen vorgeschlagen. Auf diesen Antrag hin hat der zuständige Umweltausschuss der Verwaltung im März 2020 einen entsprechenden Arbeitsauftrag erteilt.
Auf Anfrage der Grünen-Fraktion im September dieses Jahres hat die Viersener Verwaltung jetzt zum aktuellen Sachstand Stellung bezogen. In ihrer Antwort erklärt die Verwaltung, dass eine systematische Ermittlung landwirtschaftlich mitgenutzter Wegrainflächen bislang noch nicht durchgeführt wurde. Durch Auswertung von Luftbildern seien lediglich einzelne Flurstücke identifiziert worden, die ohne vertragliche Grundlage durch die Landwirtschaft genutzt werden. In einzelnen Fällen seien auch bereits Gespräche mit landwirtschaftlichen Betrieben geführt worden. Die Verwaltung plane aber weiterhin, „ein Konzept zu entwickeln, wie diese Flächen eine Funktion als Biotopverbundlinien übernehmen können“. Dazu soll nun für einige Beispielflächen der Aufwand in finanzieller und personeller Hinsicht geschätzt und die betroffenen landwirtschaftlichen Betriebe in die Planungen einbezogen werden. Die erhebliche Verzögerung in der Bearbeitung des Antrags begründet die Stadtverwaltung mit ihrer Personalsituation.
Der Fraktionssprecher der Grünen, Jörg Eirmbter-König, zeigt für dieses Argument durchaus Verständnis, weist aber auch auf den dringenden Handlungsbedarf hin: „Um den Naturschutz im Stadtgebiet steht es nicht gut. Selbst die ausgewiesenen Naturschutzgebiete bedürfen dringend der Pflege. Bereits im Jahr 2017 wurde die Verwaltung daher vom Rat beauftragt, das Projekt ‚Maßnahmen- und Umsetzungsplan Stadtgrün‘ zu erarbeiten. Auf dieses Konzept warten wir bis heute. Und der Arbeitsauftrag an die Verwaltung, sich um den Biotopverbund zu kümmern, liegt mittlerweile gut zweieinhalb Jahre zurück. Von der Umsetzung sind wir noch meilenweit entfernt. Auch das passt leider ins Bild. Dabei fehlt es sicherlich nicht am guten Willen der zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Es fehlt einfach an Personal und es müssten auch Prioritäten neu gesetzt werden.“
Der Biologe Thomas Thiel, sachkundiger Einwohner für die Grüne Fraktion im Umweltausschuss, betont die Bedeutung von Wegrainen für die Biodiversität: „Als sogenannte ‚Saumbiotope‘ sind Wegraine Lebensräume für viele Pflanzenarten und Kleintiere. Sie bieten ihnen Nahrung, Deckung und Platz zum Überwintern. Auch ermöglichen sie es vielen Arten zu wandern. Man darf diesen Faktor nicht unterschätzen, denn isolierte Populationen sind wesentlich anfälliger für Krankheiten und andere äußere Einflüsse. Für den Naturschutz sind Wegraine also besonders wertvoll. In der intensiv genutzten Agrarlandschaft finden Insekten, kleine Säugetiere, Amphibien und auch die meisten Pflanzenarten sonst leider nur noch wenig Lebensraum.“ Thiel sieht in der ökologischen Aufwertung von Wegrainen sogar Vorteile für die Landwirtschaft: „Wegraine bilden Schutzzonen, nicht nur für die Natur: Mit ihrer dauerhaften Pflanzenbedeckung können sie verhindern, dass der Boden durch Wind oder Niederschlagswasser abgetragen wird. Sie schützen also vor Erosion. Belebte, artenreiche Wegraine können durch die Förderung von Nützlingen auch den Bestand von Schädlingen auf benachbarten Nutzflächen mindern. Und das ist gut für die Landwirtschaft!“
Wegraine sind durch gesetzliche Vorgaben unter andere im Landesnaturschutzgesetz geschützt. Dieses legt fest: „Linienhafte Strukturen entlang von Verkehrswegen sind durch naturnahe Gestaltung und Pflege aufzuwerten.“ Eirmbter-König: „Das Unterpflügen wertvoller Flächen im Biotopverbund kann man wohl kaum als naturnahe Gestaltung und Pflege auffassen. Auch eine Verpachtung der Flächen zu landwirtschaftlichen Zwecken ist nach dieser gesetzlichen Vorgabe keine Option. Möglich wäre es dagegen, den Landwirten eine Vergütung zu zahlen, wenn diese die Saumbiotope nach naturschutzfachlichen Kriterien pflegen.“